Wörter des Jahres

Sächsisches Wort des Jahres 2016

Beliebtestes Wort

diggschn

schmollen; eingeschnappt sein

Schönstes Wort

Bibbus

kleines, stiftähnliches Ding

Bedrohtes Wort

Mäffdl

kleines, klappriges Auto


Der Sachse liebt das Diggschn sehr
Eine Kolumne von Dr. Peter Ufer

Meine Nachbarin kam mit einem alten Moped an und fragte mich, ob ich mal nach ihrem Bibbus sehen würde, denn der Motor würde nicht anspringen. Ich musste sie ziemlich verdutzt angesehen haben, denn sie meinte: »Se müssn an dem bibslichn Ding nur bissl dranrum biebln.« »Das ist aber ganz schön klein«, sagte ich

»Off dä Größe kommds gar ni an. Und wahre Größe lässd sich sowieso ni messen, ni in Meder, Lichdjahre oder Einwohnerzahln.« Wie sie darauf komme, wollte ich wissen. Sachsen zum Beispiel sei heute klein im Vergleich zu früher, als Sachsen noch von Fürstenberg im Norden bis nach Koburg im Süden reichte. Vor über 200 Jahren habe das Königreich Sachsen zwei Drittel seines Territoriums verloren und schrumpfte nach dem Wiener Kongress 1815 zu dem Kleinstaat zusammen, den wir heute bewohnen. Ich stimmte ihr zu.

Wir erfanden ja lauter kleine Dinge, meinte ich: Kleinbahnen, Kleinwagen, Kleinbildkameras, den kleinen Feigling und das kleinste Mittelgebirge. Aber was ist denn nun ein Bibbus, wollte ich wissen?

Das Ding, erklärte sie mir, beschreibe selbst seine Größe, besser gesagt seine Kleine. Ich müsse noch kleiner denken, als ich denke. Sie schine mir ein Rätsel zu stellen, denn sie sagte: »Das Word verbinded enne knifflige Handlung mid dor Größenbeschreibung des zu behandelnden Gegenschdandes.« Ich begriff nicht. »Das Ding schdehd edwas ab? Es is schdifdähnlich, kann aber ooch rundlich sein.« Ich fragte: »Lässt es sich nur umbeschreiben, aber wenn einer es hört, weiß er Sie sofort, was es ist?« Sie sagte: »Genau, genau.«

Karikatur von Uwe Krumbiegel

Ich suchte an ihrem Moped den Bibbus, den sie meinte und bemerkte etwas Einzigartiges. Es existieren nämlich sächsische Wörter, die kann man riechen. Das duftet zwar nicht wie 47/11, dafür aber wie 1 zu 25. Doch Mief macht müde Männer munter. Denn hier fährt und fährt und fährt der Mann oder in diesem Fall die Frau ab, spürt das Gemisch im Blut, startet durch und kommt an.

Nicht immer am Ziel, aber bei den Fans des Esser. Hierbei handelt es sich nicht um einen Freund köstlicher sächsischer Speisen, sondern um einen SR 2. Das ist eben dieses wunderbare motorisierte Zweirad mit einem Zylinder, Zwei-Gang-Handschaltung, eleganten Rundungen, einem schwungvollen Ledersitz, dem eiförmigen Tank und dem Zwei-Takt-Ottomotor samt Vergaser, der manchmal hängt.

Aber diese Herausforderung nahm ich an. Mit dem Tupfer, gebaut in der speziellen Form eines Bibbus, drückte ich den Schwimmer nieder bis ein wenig Benzin rauslief und das war das Signal: Jetzt sprang er an – nicht der Mann oder die Frau, sondern der SR.

Diese Bastelarbeit des deutschen Fahrzeugbaus stellte von 1957 bis 1964 der VEB Büromaschinenwerke Sömmerda in Thüringen her. Eine Million SR liefen in Sömmerda neben Schreibmaschinen vom Band und wurden bis in die USA exportiert. Der SR2 verbrauchte nur 1,7 Liter pro 100 Kilometer. Mit Wind im Rücken und Sonne auf dem Auspuff fuhr er von Null auf 50 in vier Minuten. Er flog. Deshalb hießen seine Nachfolger später Spatz, Star, Habicht, Sperber und Schwalbe. Die wurde sogar verdoppelt zum Duo mit zwei Sitzen und drei Rädern.

Das Wort riecht aber nicht nur, es hat zugleich einen einzigartigen Klang. Man hört den Zweitakter: Mäf-Mäf, dl-dl-dl-dl, Mäf-dl. Und wenn man Gas gibt, dann hört man: MäfMäf – dldldldl – Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdl-Mäfdllllll. Es handelte sich bei dem Moped meiner Nachbarin um ein echtes Mäfdl. Die Frage, die den Mann und die Frau, die hier auf dem nicht vorhanden Sozius keinen Platz findet, die Frage, die den Sachsen jetzt dabei umtreibt, ist nun, wie man das Wort schreibt.: MÄFDL oder MEFTEL?

Im Duden kommt das Wort gar nicht erst vor, offiziell existiert es gar nicht, also gibt es auch kein Hinweis auf seine Schreibweise. Das schöne am Sächsischen ist eben – das alles richtig ist. Es gilt das gesprochene Wort. Das gilt zum Glück in Sachsen noch etwas. Ein Mäfdl kann nämlich zum Beispiel auch ein Meppl sein. In beiden Fällen bezeichnet es ein kleines, etwas wackeliges Fahrzeug, einen fahrbaren Untersatz, einen kleinen Oldtimer.

»Sie müssn ni glei diggschn, dass se kee Mäfdl ham«, sagte meine Nachbarin. Vermutlich hatte ich etwas traurig ausgesehen. Dabei war ich es gar nicht. Der Sachse lässt sich nämlich nicht gern demütige, nicht kränken, nicht herabsetzen, verletzen, bloßstellen, degradieren, entwürdigen, nicht für dumm verkaufen. Er tut höchstens mal dumm.

Ja, jeder darf mal beleidigt oder eingeschnappt sein. Der Sachse diggschd dann. Das Wort diggschn kommt vom Dickkopf, der seine Meinung durchsetzen möchte. Warum auch nicht. Doch wer diggschd, der jammert nicht, sondern wehrt sich gegen die, die ihn verletzen, verstimmen, bedrängen, behelligen. Digschn ist eine Haltung, genauer eine Zurück-Haltung, um nachzudenken, wie man nicht alles mit sich machen lässt, sondern selber entscheidet, was das besten für einen ist.

Meine Nachbarin fragte mich unvermittelt: »Gloobn Se das Leben wird nachn Dod schöner?« Ich sagte: »Das kommt ganz darauf an, wer stirbt.« Sie gab Gas und mäfdelde davon.