Wörter des Jahres

Sächsisches Wort des Jahres 2015

Beliebtestes Wort

Blaadsch

ungeschickter Menschen

Schönstes Wort

Dämse

unerträgliche Hitze

Bedrohtes Wort

Eiforbibbsch

ursächsischer Ausruf des Erstaunens


Über ein Viertel aller an der Internetabstimmung beteiligten Sachsen entschied sich für »Blaadsch« – umgangssprachlich die Bezeichnung für einen ungeschickten Menschen. Die Jury kürte »Dämse« zum schönsten und »eiforbibbsch« zum bedrohten sächsischen Wort des Jahres. Dämse verwendet der Sachse gern, um wie im letzten Sommer die manchmal unerträgliche Hitze auszudrücken.

Für Eiforbibbsch entschied sich die vierköpfige Jury mit den beiden Kabarettisten Tom Pauls und Uwe Steinle, dem Autor Dr. Peter Ufer und dem MDR-Moderator Andreas Berger, weil dieser ursächsische Ausruf des Erstaunens heutzutage kaum noch im Alltag verwendet wird.

Über 8.000 Vorschläge erreichte die Jury beim 8. Jahrgang – so viele wie noch nie seit 2008. Die Wahl der sächsischen Wörter des Jahres ist eine gemeinsame Initiative der Ilse-Bähnert-Stiftung, der Sächsischen Zeitung und von MDR Sachsen.

Seit 2008 wird das »sächsische Wort des Jahres« gekürt. Diese Kategorie wurde von der »Ilse-Bähnert-Stiftung« ins Leben gerufen. Zielsetzung dieser Wahl ist laut Stiftung folgende: »Aussterbende sächsische Wörter sollen gerettet werden, die Sprache der Sachsen wird gepflegt und gehegt, ihr Wohlklang in das Bewusstsein gebracht und die Mundart als wichtiger Teil der deutschen Sprache gefördert.«


Eiforbibsch, ä Bladsch in dor Dämse –
Eine Kolumne von Dr. Peter Ufer

Sie schwitzte. Draußen hitzte es sich auf, drinnen half kein Windzug mehr. »Das is enne Dämse hier drinne«, sagte meine Nachbarin. Aber das Klima wandle sich ja nicht nur beim Wetter. »Es is überall heeß.« Ich musste nicht lange überlegen, wo denn das Wort Dämse herstammen könnte, denn die Wetterlage offenbarte es. Dampf schien überall aufzusteigen und daher kommt auch die Dämse.

Das Wort meint einen schwül-warmen, leicht stickigen Zustand, der die Landschaft und die Gemüter nach und nach zum Kochen bringt. Um nicht zu dämssch zu werden, braucht es ab und zu frische Luft. Meine Nachbarin meinte, dass sich dä Dämse überall verbreiten würde. Ich erzählte ihr davon, dass sie schon in London sei. »Ach, se meen dä Geschichde midn Saggsn, die da an dor Dauerbridsch schdandn, es warm war un die gesachd ham, is das enne Dämse hier. Un seid dem heesd der Fluss dorde Dämse.« Ja, die Geschichte meinte ich. »Kenn ich schon«, sagte sie.

Karikatur von Uwe Krumbiegel

Ich fragte sie, ob sie wusste, dass es sich bei East-Sussex, West-Sussex und Middlesex im Süden Englands um Ost-Sachsen, Westsachsen und Mittelsachsen handle. »Nee«, sagte sie. Ich gab ihr Nachhilfe: Das Königreich Sussex war seit 477 eines der Kleinkönigreiche der Angelsachsen, ein Sammelvolk aus Angeln und Sachsen. »Noch heute nutzen die Engländer das eine oder andere sächsische Wort. Es fängt schon mit word an.«

»Ja, ja«, sagte meine Nachbarin, »das habsch ooch schon gehörd. Dabei verwechseln die manches. Während der Sachse wo frachd, sachd dor Engländer where und während der Saggse Wer? frachd, sachd dor Engländer who oder hu oder so.«

Wir tauschten weitere Beispiele der sächsisch-englischen Wort-Verwandtschaft aus. Die Engländer blärrn gerne ma rum und dann heißt das blare. Deshalb nannten die den damals auch Tony Blare. Viel einfacher zu hören sei die sprachliche Verbindung bei Bludd, dem Blut das beiden gleichermaßen durch die Adern fließt.

Der Sachse sagt Gemütlichkeit oder Kletterschuh, der Engländer ebenfalls. Als weiteres Beispiel führte meine Nachbarin die Äpfel an, sächsisch Äbbl, englisch Äbbl. Ich meinte, Car komme von der sächsischen Karre, work von wörschn, warm von warm und Google von den sächsischen Guggln. Und wer heute auf seinem I-Pad Bilder mit dem Finger hin und herschiebt, der dadschd es an. »Eiforbibsch, das ham die alles von uns«, sagte meine Nachbarin.

Mit »eiforbibsch« ließ sie einen sächsischen Ausruf der Verwunderung, einen nicht sehr ernst gemeinten Fluch durch das Zimmer hallen. Viele kennen den Ausspruch, aber nur wenige sagen ihn noch, die Wortgruppe ist bedroht. Der Sachse wundert sich über vieles oder über gar nichts mehr. Eiforbibsch, das man auch mit »v« schreiben kann, kommt von »Gott verdammt!«.

Aber das klingt viel zu hart. Sachsen mögen es versöhnlicher, denn es gibt immer Chancen. Übrigens kann es auch sein, dass das Eiforbibsch vom Familienname Pippich abstammt. Die müssen es allerdings ziemlich wild getrieben haben. »Der Vador war beschdimmd ä ganz schöner Blaadsch.«

Damit redete sie von einem Sachsen besonderer Art. Er legt seine eigenen Schwächen bloß und offenbart damit seinen Hang zur Melancholie. Die ist ihm zum Glück geblieben. Er verfolgt geschickt die Strategie unterschätzt zu werden, um am Ende doch der Sieger zu sein. Er ist nicht, was er scheint, weder die ungeschickte Person noch der Tolpatsch, sondern er ist er selbst.

Meine Nachbarin fragte mich: »Erinnern Sie sich noch wies früher im Kreissaal zuging. Erinnern Sie sich noch, na Sie erinnern sich doch an nischd mehr. Ich sachs ihn: Der werdende Vader mussde draußen bleibn bis die Frau soweid war. Ni wie heide, wo die Weechgesichder mid dor schwangeren Gaddin im Dufdwasser ennes Gebärbools blanschn und das Baby zögerd abzudauchen, weil die combudergeschdeuerde Fruchdblasenwasseranalyse beim Dadenabgleich Differenzen zum idealdübischen EU-Schdandard offfweesd.«

Das hatte meine Nachbarin vermutlich mal in einer Zeitschrift beim Friseur gelesen. Ich fragte sie: »Kennen Sie denn einen Blaadsch?« Sie sagte: »Ja, mei Mann.« Sie beschrieb ihn als Tofu im Fleischwolf, der sich in Sicherheitszonen einlullen lasse und hoffe, dass er nach und nach systemrelevant werde, damit ihm sein 18-Prozent-Dispo erhalten bleibe.

Er denke daran, wie seine Mutter früher zu ihm gesagte habe: »Dir soll es mal besser gehen!« Und jetzt, wo er glaube, dass es ihm besser gehe, da sage seine Mutter: »So schön wie Du möchte ich es auch mal haben.« Meine Nachbarin redete sich in Rahsche. »Der reißd doch midn Hindern ein, was er sich midn Händen offgebaud had. Und das war schon ni viel.«

Sie zählte mir mehrere Kosenamen auf, wie sie ihren und andere Männer titulierte: Blödmann, Dussldier, Gnusberkopp, Hirni, Rozzdoffl, Dumpfbacke, Laggaffe, Binsl, Klapser oder Schnösel. In dem Augenblick kam ihr Gatte nach Hause und wollte etwas sagen, aber sie rief: »Halde den Mund, wenn de mid mir schbrichsd.«